Asexualität: "Es wäre leichter gewesen meinen Eltern zu sagen, dass ich lesbisch bin"

Ann-Christin Kieter - 31.05.2017

Asexualtät

Clara (26) hatte noch nie eine Beziehung und verspürt kein Verlangen nach Sex | Foto: Privat

Nein zu Sex und Jein zur Liebe

UNICUM: Clara, du bist asexuell. Was genau steckt hinter deiner sexuellen Orientierung?
Clara: Ich fühle mich zu niemandem sexuell hingezogen. Ich habe nicht das Bedürfnis, mit jemandem zu schlafen. Wenn ich versuche, Asexualität für Leute greifbar zu machen, dann vergleiche ich das damit, wie es sich für eine heterosexuelle Frau anfühlt, andere Frauen anzuschauen. Natürlich habe ich auch ein Gefühl dafür, ob ich einen Menschen attraktiver finde oder mich ihm näherfühle als anderen, aber ich denke nicht: "Oh, mit dieser Person ins Bett, das wäre super!" Genauer gesagt identifiziere ich mich aktuell als asexuell und grey-panromantisch. Das heißt, ich fühle mich auch nur selten romantisch zu Menschen hingezogen. Und wenn das der Fall ist, dann ist mir das Geschlecht egal.

Dass du dich direkt auf meine Interviewanfrage über den Verein AktivistA gemeldet hast, zeigt mir, wie sehr dir das Thema am Herzen liegt. Was genau möchtest du erreichen?
Die Leute wissen einfach nichts über Asexualität oder haben noch nie davon gehört. Mich hemmt das total, wenn ich davon erzählen möchte. Als ich darüber nachgedacht habe, mich vor meinen Eltern zu outen, hatte ich keine Angst, dass sie schlecht reagieren, aber ich habe mich vor diesem zehnminütigen Erklär-Block gescheut. Es wäre für mich zum Beispiel einfacher gewesen zu sagen: "Hier Mama, Papa, das ist meine Freundin, ich bin lesbisch." Aber so ist es eben nicht.

Wie oft kommst du in die Situation, dass du erklären musst, was asexuell bedeutet?
Ich spreche das Thema selten von selbst an und es kommt eben auch nicht organisch in einer Unterhaltung vor. Also bis jetzt musste ich ein Gespräch immer mit dem Holzhammer darauf bringen, wenn ich es irgendwem erzählen wollte. Und wenn man mit den Worten "Du, ich muss dir was erzählen …" anfängt, dann wird das immer so unnötig dramatisiert. Das will ich eigentlich nicht, weil es nichts Dramatisches ist.

Was heißt asexuell?

Unter Asexuellen, also Menschen, die keine sexuelle Anziehung verspüren, gibt es verschiedene Formen der Orientierung. Es wird mindestens zwischen sexueller und romantischer Anziehung unterschieden. Eine Person kann zum Beispiel asexuell und hetero-, homo- oder biromantisch sein. Oder man ist asexuell und aromantisch (auf Englisch "aro ace"). Das bedeutet, man empfindet auch keine romantische Liebe.

Asexualität ist keine bewusste Entscheidung

Verstehen die Leute dich denn gut oder kommt es häufig zu Missverständnissen? 
Ich hatte relativ viel Glück, dass immer viel Verständnis da war und die Leute mir zugehört haben, obwohl ich total rumgestolpert bin und mich in tausend Halbsätze verirrt habe, bis ich formulieren konnte, was ich ausdrücken will. Wirklich unschöne Erlebnisse hatte ich noch keine.  

Ich könnte mir jedoch vorstellen, dass manche Leute das mit einer bewussten Entscheidung verwechseln.
Ja, ich habe auch schon oft im Internet gelesen oder von anderen Leuten gehört, dass Asexualität mit  Enthaltsamkeit oder dem Zölibat verwechselt wird. Mir persönlich ist das noch nicht untergekommen, weil sich mein Umfeld sowohl gut mit Religion als auch mit Sex- und Gender-Fragen auskennt und den Unterschied daher direkt versteht.

Wann und wie hast du gemerkt, dass du in Sachen Sexualität anders tickst als deine Freunde?
Ich habe so vor vier, fünf Jahren damit angefangen, mich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Allerdings eher durch Zufall. Als ich über eine Freundin, die selber ins asexuelle Spektrum fällt, das erste Mal davon gehört und dann ein bisschen was dazu gelesen habe, dachte ich: "Och ja, das könnte auch bei mir passen." Ich hatte nie unbedingt das Gefühl, total anders zu sein. Natürlich war mir klar, dass andere mit 21, 22 im Gegensatz zu mir schon längst mal eine Beziehung hatten, aber ein wirkliches Problem war das nicht. Vielleicht auch deshalb, weil nicht bei jedem Familientreffen nachgefragt wurde: "Na, wie sieht es denn aus mit einem Freund?" Da das alles für mich recht entspannt war, hatte ich gar nicht so das Bedürfnis, eine Erklärung zu finden. Dass ich tatsächlich meinen "Frieden" mit dem Thema Asexualität gefunden habe, ist so seit zweieinhalb Jahren der Fall.

"Sex-Szenen halte ich mal besser und mal schlechter aus"

Hast du dich in diesem Prozess auch mal körperlich untersuchen lassen? Also den Hormonspiegel etc.? 
Aus anderen Gründen habe ich mal einen Testosteron-/Östrogen-Abgleich machen lassen. Da dabei alles im normalen Bereich war, habe ich für mich beschlossen, dass es mir egal ist, selbst wenn es eine hormonelle Ursache hat. Ich fühle mich so wohl wie ich bin.

Wie kommt es, dass sexuelle Fantasien oder Selbstbefriedigung für Asexuelle trotzdem eine Rolle spielen?
Es hat nicht wirklich etwas miteinander zu tun, ob ich andere Menschen anziehend finde, oder ob ich diesen relativ mechanischen Vorgang der Selbstbefriedigung angenehm finde. Nach meinem Kenntnisstand ist das auch sehr unterschiedlich. Es gibt sowohl asexuelle Menschen, die Selbstbefriedigung mögen oder sogar Sex haben, als auch solche, die das alles total eklig finden und damit gar nichts zu tun haben wollen.

Wo siehst du dich?
Irgendwo in der Mitte beziehungsweise schwankend. Ich habe zum Beispiel festgestellt, dass ich bei Filmabenden mit Freunden Sexszenen oder Gespräche darüber an manchen Tagen besser aushalte als an anderen.

Symbole und Erkennungszeichen für Asexualität

  • Pride-Flag in den "ace"-Farben (Schwarz, Grau, Weiß, Lila)
  • Ace-Ring: schwarzer Ring, der am Mittelfinger getragen wird
  • Kuchen (geht auf einen Witz in der Online-Community zurück, dass Asexuelle Kuchen lieber mögen als Sex)
  • Englische Wortspiele mit "Ace", vor allem mit Spielkarten (Ass)

Warum bringt man nicht den besten Freund / die beste Freundin zur Hochzeit mit?

Kannst du dir vorstellen, jemals eine Beziehung zu haben? Vielleicht mit einem Partner, dem es ganz ähnlich geht? 
Ja, ich denke, das würde die Sache definitiv erleichtern. Gleichzeitig weiß ich aber auch von erfolgreichen Beziehungen, in denen nur ein Partner asexuell ist. Ich habe für mich noch keine finale Antwort gefunden. Und auch noch nicht zu intensiv danach gesucht.  

Ich habe festgestellt, dass Freundschaft in der öffentlichen Wahrnehmung recht unterbewertet ist. Oder andersrum, dass Liebesbeziehungen im Verhältnis dazu zum Teil überbewertet sind. Dabei halten Freundschaften oft viel länger. Für mich sind meine engsten Freunde wie eine Familie, die ich mir selbst ausgesucht habe. Ich kann mir keine größere Nähe vorstellen als die zu ihnen. Und trotzdem wäre es merkwürdig – weil unüblich –, wenn ich meine beste Freundin oder meinen besten Freund als Begleitung zu einer Hochzeit oder Familienfeier mitbringen würde.

Um auf deine Frage zurückzukommen: Im Moment denke ich oft, dass ich gar nicht dauerhaft auf eine Person Rücksicht nehmen und Lebensentscheidungen zu zweit fällen will. Aber ich schließe es auch nicht kategorisch aus. Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass Sexualität etwas ist, das sich ändern kann. Aktuell fühlt es sich sehr wahrscheinlich an, dass ich niemals mit jemandem ins Bett gehen möchte. Und wenn doch? Dann würde es mich erstmal verwirren, aber ich glaube und hoffe, dass dadurch nicht meine ganze Selbstwahrnehmung auseinanderbrechen würde.

Hast du im Freundeskreis viele Gleichgesinnte, die du zum Beispiel aus Vereinen für Asexuelle kennst?
Die meisten meiner Freunde kenne ich einfach aus dem Studium. Bei AktivistA bin ich erst Anfang des Jahres eingetreten und habe die Leute noch nicht persönlich kennengelernt. Jetzt, da für viele das Studium zu Ende geht und sich alle in verschiedene Städte verteilen, habe ich beschlossen, dass ich gerne gezielt andere asexuelle Menschen kennenlernen möchte.

Letztes Jahr war ich aber schon auf einem Christopher Street Day. Das war eine total großartige Erfahrung – auch wenn es in Sachen Asexualität sehr überschaubar war und es keinen Stand oder Teil in der Parade gab. Da ich ein T-Shirt mit der Aufschrift "Asexy and I know it" trug, kam ich automatisch mit drei Mädels in Gespräch. Wir haben noch immer Kontakt und treffen uns manchmal. Es ist einfach schön zu wissen, dass man nicht alleine ist. 

Linktipps

  • Verein zur Sichtbarmachung von Asexualität: AktivistA
  • Das AVEN-Netzwerk: AVEN
  • "Fuck Sex": Bachelorarbeit (Film) von Studentinnen der Hochschule Bremen auf YouTube

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