Was macht eigentlich ein Lobbyist?

Désirée Balthasar - 27.02.2017

Was macht ein Lobbyist?

Wer zieht in der Politik die Strippen? Lobbyisten? | Foto: Thinkstock/marrishuanna

Politikberater ohne Goldmanschetten

"Den Begriff 'Lobbyist' würde ich selbst eher nicht verwenden", stellt David Issmer klar. In der Öffentlichkeit ist der Begriff recht negativ besetzt. Das Selbstverständnis der Branche klingt so: "Wir bezeichnen uns als Politikberater." Issmer trägt weder Goldmanschetten noch graue Haare, dafür hat der 36-Jährige ein berufliches Netzwerk in der Größe einer Kleinstadt. Er ist Rechtsanwalt der Großkanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer und dort seit Juni 2016 als Head of Public Affairs in Berlin tätig.

"Meine Hauptaufgabe besteht darin, am Puls der Zeit zu bleiben", erzählt Issmer. "Für unsere Mandanten ist es wichtig, so früh wie möglich über Gesetzespläne informiert zu werden, die ihr Geschäft betreffen." Dann heißt es recherchieren, Informationen beschaffen, diese aufbereiten und als Briefings verschicken. Außerdem trägt der Anwalt die Wünsche und Forderungen der Kanzleimandanten in deren Namen vor. Issmer: "Im politischen Prozess vertritt jede Seite ihre eigenen Interessen. Verbände, Unternehmen und NGOs bringen ihre Ansichten und Forderungen vor. Für diese Aufgabe werden wir beauftragt."

Der Alltag besteht aus Veranstaltungen, Gremiensitzungen, Ausschüssen, persönlichen Gesprächen und parlamentarischen Frühstücken. Der ständige Austausch mit einem großen Netzwerk stellt das Informations- Fundament dar und gilt somit als Kernwährung im Lobbyismus.

Lobbyismus am Pranger

Der größte Kritikpunkt, den Lobbyisten immer wieder zu hören bekommen, bezieht sich auf die Intransparenz ihrer Arbeit. Es gibt kaum Kontrollen. Daher warnen manche vor Korruption und davor, die Demokratie nicht in Gefahr zu bringen. Die entscheidende Frage ist die, wo Interessenvertretung aufhört und Politikbeeinflussung beginnt. Seit den 1970ern hat sich die Branche fundamental verändert. Was damals mit klassischen Verbandsvertretern begann, zeigt sich heute als bunter Strauß.

Unternehmen und Konzerne, Wissenschaftler und Hochschulen, Public-Affairs-Agenturen und Think Tanks, Stiftungen und Politikberater, Gewerkschaften und Berufsverbände wollen ihre Wünsche vorbringen. Auf der anderen Seite sitzen die politischen Vertreter in Parteien und Fraktionen des Bundestages, der Bezirksregierungen und in den Kommunen. Auf Verwaltungsebene zählen die Mitarbeitenden in Ministerien und Vertretungen der Bundesländer und des Bundes, der Kommissionen und Behörden dazu.

Sie alle wandern jeden Tag den schmalen Grat zwischen Information und Einflussnahme. Die Komplexität, insbesondere in der Wirtschaft und im globalen Handel, nimmt stetig zu. Politiker und Verwaltungsmitarbeitende sind daher darauf angewiesen, Experten zu bestimmten Themen anzuhören. Die Kunst ist hier sicherlich, es bei der Anhörung zu belassen und sich nicht beeinflussen oder unter Druck setzen zu lassen.

Pro & Contra

  • Für Transparency International gibt es zwei Lesarten. Einerseits würde der politische Prozess verzerrt und die Partizipation eingeschränkt; andererseits gebe es einen lauten Ruf nach Stakeholder-Beteiligung und Mitsprache.
  • Laut der Gesellschaft für Politikberatung in Deutschland, Degepol, entsteht Politik jedoch überhaupt erst aus der Konkurrenz von Interessen, aus Verfahrensbeteiligungen und Dialog. Ihre Mitglieder berieten politische Entscheidungen vor und beeinflussen somit die Demokratie positiv.
  • Für die Plattform abgeordnetenwatch.de liegt genau dort das Problem. Denn in ihren Augen ist der Einfluss der Lobbyisten mittlerweile so groß, dass sie die Demokratie gefährdet sieht. Sie warnt vor den Grauzonen politischer Einflussnahme und davor, dass wirtschaftliche Interessen vor gesellschaftlichem Wohl stünden

Keine gezielte Berufsausbildung

Wie fühlt sich diese Gratwanderung für Politikberater David Issmer an? "Wie Interessen von Unternehmen heute vertreten werden, hat sich grundlegend gewandelt", sagt er. "Die Vorstellung von verrauchten Hinterzimmern ist längst nicht mehr Realität. Stattdessen bemühen sich Unternehmen um Transparenz."

Die Interessenvertreter sind naturgemäß dort besonders aktiv, wo der Gesetzgeber stark eingreift . Also in staatlich regulierten Branchen wie die Energie- und Verkehrswirtschaft , die Gesundheits- und Finanzbranche sowie Banken, Industrie und Verteidigung. Der Politikberater Issmer beschäftigt sich beispielsweise momentan mit dem Brexit, mit erneuerbaren Energien und hat stets die Wahlprogramme der Parteien im Blick. Denn daraus können später Gesetze werden.

Die Ausbildung 'Lobbyist (m/w)' gibt es nicht, die Wege dorthin sind vielfältig. Für ehemalige Politiker bieten Lobbyagenturen, Verbände und Unternehmen eine aussichtsreiche Karriereoption. Diese Praxis zieht oft öffentliche Kritik nach sich. Doch was zählt, sind Kontakte und das Wissen darüber, wie Politik von innen funktioniert. Auch Issmer erfüllt diese Bedingungen. Er war insgesamt sieben Jahre in Bundestag, Bundesrat und im Wirtschaftsministerium tätig. "Wer die unterschiedlichen Welten kennt, ist klar im Vorteil", erzählt der Anwalt. "Ich weiß, worauf es Politikern ankommt, welche Sprache sie sprechen und welche Fristen man einhalten muss, um überhaupt gehört zu werden."

Von Macht und Einflussnahme möchte Issmer nichts hören. Da viele Fische im selben Teich fischten, sei der Einfluss Einzelner begrenzt. Und er ist überzeugt, dass niemand die Inhalte der Gesetze formell beeinflusse: "Vertreten durch den Gesetzgeber, werden Gesetze immer noch vom Volk gemacht."

Lobbyismus in Zahlen

  • Die offizielle Lobbyliste des Deutschen Bundestags (850 Seiten) enthält 2.270 Einträge von Interessenvertretern.
  • abgeordnetenwatch.de zählt rund 1.000 Lobbyisten, die mit Hausausweisen im Bundestag ein und aus gehen. In ganz Berlin sollen um die 5.000 aktiv sein.
  • Gehälter laut Degepol: zwischen 2.100 Euro im Einstiegs- und etwa 8.500 Euro im Top-Level.

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