Die Fähigkeit, sich in andere hineinversetzen zu können
Wie schaffen es Lehrer, pubertierende Jugendliche für ihren Unterricht zu begeistern? Was macht einen Kollegen aus, mit dem die Anderen gerne zusammenarbeiten? Und wodurch zeichnet sich ein Chef aus, der das Vertrauen seiner Mitarbeiter genießt? In vielen Fällen steckt Empathie dahinter – die Fähigkeit, sich in die Gedanken und Gefühle Anderer hineinzuversetzen. "Empathische Menschen können sich besonders gut an neue Situationen oder auch an Hierarchieebenen anpassen, weil sie zu einem gewissen Teil voraussagen können, wie ihr Gegenüber auf ihr Verhalten reagieren wird. Sie sind weniger aggressiv und neigen auch seltener dazu, andere zu mobben. Dafür weinen sie häufiger bei Liebesfilmen", betont der Saarbrückener Empathie-Forscher Christoph Paulus.
Kann man Empathie lernen? Ein Streitthema in der Wissenschaft
Schon im Kindergartenalter beginnen Menschen, sich in die Perspektive Anderer hineinzuversetzen. Und auch Erwachsene können sich in bestimmten Situationen bewusst vor Augen führen, wie ihr gegenüber sich in einer Situation fühlt, um sich auf dieser Basis empathischer zu verhalten. Ob auch der emotionale Aspekt von Empathie – das spontane Mitfühlen – erlernbar ist, darüber herrscht in der Expertenwelt dagegen keine Einigkeit. Paulus, der unterschiedliche Altersgruppen verglichen hat, äußert sich skeptisch: "Ältere können nicht besser als jüngere Menschen die gleichen Gefühle empfinden wie ihr Gegenüber. Das spricht dafür, dass die Fähigkeit zum spontanen Mitfühlen angeboren und unveränderlich ist."
Prof. Dr. Tania Singer vom Max Planck Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig dagegen versucht in ihren Studien nachzuweisen, dass mentales Training wie Meditation zu einer Veränderung bestimmter Gehirnareale und damit zu einer Steigerung des Mitgefühls führt. Jürgen Muthmann, Psychologe und Mitglied des Netzwerks "empathiegarten" findet es wichtig, zu verstehen, was eine Person hindert, einfühlsamer zu sein: "Häufig sind weniger empathische Menschen nicht bereit, Veränderungen oder andere Glaubenssätze zuzulassen. Manchmal fehlt ihnen auch die Gelassenheit oder sie leiden unter Konflikten", sagt der Empathie-Trainer. Je nach Situation könne den Menschen also beispielsweise durch Stressmanagement oder Meditation geholfen werden. Theresia Friesinger, Sozialpädagogin und Gründerin des "Bildungsinstituts für Empathie" legt Wert darauf, dass ihre Schulungsteilnehmer zunächst die dahinter liegenden Gefühle erkennen, wenn sie sich beispielsweise missverstanden, ignoriert oder in die Ecke gedrängt fühlen.
Empathie-Training an der Hochschule
Einige Hochschulen bieten Empathie-Trainings an, etwa in der Ärzteausbildung. "Es geht darum, zu erfahren, wie es dem Patienten geht, was ihm wichtig ist und wie sich Schwierigkeiten in der Behandlung frühzeitig antizipieren lassen können. Manchmal lässt sich zum Beispiel vorhersehen, dass ein Patient ein Medikament nicht einnehmen wird", erklärt Dominique Schwartze vom Institut für Psychosoziale Medizin und Psychotherapie des Universitätsklinikums Jena. Neben Theorieblöcken und Kommunikationstrainings durchlaufen die Jenaer Medizinstudenten auch Übungen mit Schauspielpatienten und Rollenspiele. Im Umgang mit älteren Patienten werden zum Beispiel auch Alterssimulationsanzüge eingesetzt, damit die Studenten die körperlichen Einschränkungen älterer Menschen wahrnehmen und deren Herausforderungen besser nachvollziehen können. Ziel ist es, mit diesen praktischen Übungen das Einfühlungsvermögen der Studenten für ihre Patienten zu schulen.
MINT-ler weniger interessiert
Die Universität Duisburg-Essen bietet am Institut für Optionale Studien unter anderem Seminare und Trainings an, die die Steigerung der Empathiefähigkeit beinhalten und Studierenden aller Fachbereiche offenstehen. "Die Kurse sind nahezu immer ausgelastet, es gibt auch Wartelisten. Besonders großes Interesse haben Studierende, die sich im Fachstudium mit ähnlichen Themen befassen oder einen direkten Anwendungsbezug im Beruf erwarten, also angehende Pädagogen, Politik- und Geisteswissenschaftler, aber auch BWLer oder Sozialarbeiter", sagt Bereichsleiter Dr. Nils Echterhoff. Studierende der technischen und naturwissenschaftlichen Fächer dagegen seien seltener vertreten: "Aufgrund nicht vorhandener fachlicher Bezüge sind sie sich häufig noch nicht darüber bewusst, dass dieser Kompetenzbereich im Beruf auch für sie wichtig sein wird – nach erfolgreicher Teilnahme einer entsprechenden Lehrveranstaltung sind aber auch sie für solche 'weichen' Erfolgsfaktoren sensibilisiert."
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