Schneller lesen

Anna Lenja Hartfiel - 19.12.2018

Schneller lesen

Mit unseren Tipps bewältigst du den Bücherberg! | Foto: bernardbodo/Getty Images

Schnell-Lesen: Harry Potter in 47 Minuten

4265 Wörter pro Minute sind Weltmeister-Niveau: Die Engländerin Anne Jones, sechsmalige Weltmeisterin im Schnell-Lesen, soll 2007 das Buch "Harry Potter and the Deathly Hallows"  in nur 47 Minuten gelesen haben. "Das ist absolutes Profi-Niveau. Aber schon wenn wir unsere Lesegeschwindigkeit nur um ein Drittel erhöhen, bringt das enorm viel und steigert unsere Leselust", sagt Petra Lehner, die Menschen beibringt schneller zu lesen. "Das heißt aber eben nicht oberflächlich zu lesen. Denn den Sinn des Textes muss man erfassen, sonst wäre die Schnelligkeit ja kontraproduktiv."

Lehner liest selbst im Schnitt drei, in Hochzeiten sieben Bücher pro Woche, rein berufliche Literatur. "Im Urlaub lese ich dann noch einiges mehr, weil hinzukommt, was mich privat interessiert", sagt sie. Viele Jahre war die 53-Jährige als Berufsmusikerin im Wiener Orchester tätig. Für einen Lehrauftrag musste sie sich viel Wissen innerhalb kürzester Zeit aneignen und die entsprechende Literatur lesen.

Das war der Auftakt für ihre Beschäftigung mit Hochgeschwindigkeitslesen und Gehirnforschung. Sie las "Photoreading" von Paul R. Scheele und bildete sich in Seminaren weiter. Nach einigen Jahren entwickelte eine eigene Methode, das Systemlesen, das Menschen anhand von Übungen und Tools in Workshops und Onlinekursen hilft, ihre Lesekompetenz zu verbessern.

Zum Beispiel mit dieser Übung, die eine rasche Steigerung verspricht: "Nehmen Sie ein Buch, starten Sie eine Stoppuhr und lesen eine Seite. Wenn Sie eine Minute gebraucht haben und die gleiche Seite danach noch einmal lesen, diesmal aber ein wenig schneller lesen, stellen Sie die Stoppuhr auf 45 Sekunden", erklärt Lehner.  Das Ganze wird noch einmal wiederholt, dann liegt die Dauer bei etwa 30 Sekunden. "Wenn Sie jetzt auf eine andere Seite gehen und diese lesen, also diesmal eine unbekannte, werden Sie bereits deutlich schneller sein", verspricht der Coach.

Schneller lesen: Die Übung macht's!

Schnelles Lesen ist Trainingssache. Wie bei anderen Fertigkeiten auch könnten wir so mehrere Dinge gleichzeitig tun: Gehen und sprechen, Autofahren und Musik hören, oder eben lesen und essen und dennoch Texte verstehen. Das kann auch zum Nachteil werden, wenn wir nicht fokussiert lesen. "Wenn wir in Gedanken mit etwas anderem beschäftigt sind und zum Beispiel unsere To-Do-Liste durchgehen, lesen wir manchmal weiter und merken erst nach ein paar Absätzen, dass wir gar nicht mehr mitbekommen haben, was wir da lesen."

Effizientes Lesen fängt schon mit der Sitzhaltung und dem richtigen Schreibtisch an: "Entscheidend ist bei der Lesehaltung, dass wir entspannt sind", sagt Lehner. Je stärker wir an den Schultern verspannt sind, desto schlechter sei die Verbindung vom Kopf zum Körper, der aber für das Leseverständnis und das Lernen unbedingt gebraucht werde. "Ob im Liegen, mit baumelnden Beinen oder im Yoga-Sitz, jeder muss für sich herausfinden, was am angenehmsten ist", rät die 53-Jährige.

Gutes Licht und wenig Ablenkung sorgen für passende Leseumgebung. "Der Schreibtisch sollte möglichst ablenkungsfrei sein. Es hilft nicht, wenn da andere Bücher herumliegen, Stifte, Papier und sonst noch was, das unsere Aufmerksamkeit vom Buch weg auf alles mögliche Andere lenkt." Fachliteratur im Studium, auch gähnend-langweilig theoretische, ist für manche Hausarbeiten unabdingbar. "Wenn wir uns so gar nicht zum Lesen aufraffen können, hilft zur Motivation nur, sich das Ziel hinter dem Ziel bewusst zu machen, nämlich den Bachelor oder die Doktorarbeit zu schaffen", findet Lehner.

Die Devise 'Erst die Pflicht, dann das Vergnügen' ist allerdings keine Hilfe. "Wenn Literatur dabei ist, die mich interessiert, sollte ich ruhig mit dieser anfangen", empfiehlt sie. Zwischendrin sollten wir mit den unbeliebteren Texten fortfahren, um uns dann wieder dem spannenden Buch hinzugeben. "Das ist eine super Belohnung, wie eine Süßigkeit, und motiviert uns." Aber: Pausen dabei nicht vergessen. "Eine fokussierte Einheit von 20 Minuten ist ideal, dann sollten wir eine kleine Pause von ein paar Sekunden machen. Einmal strecken genügt schon", sagt sie. Spätestens nach drei oder vier Mal 20 Minuten sollte eine Pause von 10 bis 15 Minuten drin sein.

Die größten Geschwindigkeits-Killer: Mit den Augen woanders hinspringen, den Text gedanklich mitsprechen und im Text zurückspringen und ganze Passagen nochmal lesen.  Wer den Text gedanklich mitspricht, liest langsamer, genauso wie jemand, der Wort für Wort erfasst. "Es gibt etwa 45 Worte, die das Gehirn sofort erkennt und gar nicht mitlesen muss, zum Beispiel Artikel oder Füllwörter", weiß Lehner. Alleine, wenn wir diese Worte nicht direkt mitsprechen, erhöhten wir die Lesegeschwindigkeit um ein Drittel. Wer es schafft, eher Wort-Phrasen zu erfassen als einzelne Wörter, könne sich schon deutlich verbessern. Eine gute Übung: "Rhythmisch zu lesen, indem man langsam beziehungsweise im eigenen Lesetempo beginnt  und dann schneller liest", sagt Lehner. Das dürfe schneller als angenehm sein, um nach etwa einer halben Seite wieder langsam zu lesen. "Diesen Rhythmus für mehrere Seiten beizubehalten, hilft dabei, die Geschwindigkeit Schritt für Schritt zu erhöhen."

Um zu vermeiden, dass die Augen woanders hinspringen, gibt es ganz konkrete Hilfen. "Mit dem eigenen Finger, einem Stift oder Stück Papier entlang der Wörter in der Zeile fahren, in der man gerade ist, hilft schon enorm", sagt sie. Diese Mitzeigehilfe sollte nicht abgehackt eingesetzt werden, sondern vielmehr helfen, die Augen quasi rascher weiterzuziehen. Da macht es uns Wissenschaftsliteratur nicht leicht: "Auch Fußnoten sind sozusagen eine Ablenkung, sie zwingen uns ja dazu im Text zu springen und das verlangsamt den Leseprozess." Manche Menschen werden laut Lehner im unteren Drittel einer Seite gerne langsamer: "Das hängt mit der Augen-Stellung zusammen." Sie rät, sich dazu zu zwingen, schneller zu lesen, und zwar bewusst schneller, um das auszugleichen, denn die Augenstellung vermittele dem Gehirn eine Ermüdung.

Mit diesen Tricks erzielen wir nach drei oder vier Tagen erste Erfolge, verspricht Lehner. "Dann müssen wir dranbleiben und weiterhin versuchen uns zu steigern", rät sie. Wichtig dabei: variieren. "Dem Hirn wird schnell langweilig. Wir sollten abwechseln, verdecken ein paar Tage mit dem Lesezeichen, üben dann schnell-langsam-schnell zu lesen und kombinieren das dann zum Beispiel mit dem Mitzeigen", so die Expertin. Unter Zeitdruck zu lesen, ist keine Hilfe. "Gestresst zu lesen ist kein effizientes Lesen." Da würden wir in Gedanken eher daran denken, wie viel Zeit noch bleibt und solche Ablenkung verhindert ein fokussiertes Erfassen des Textes.

Wenn wir Literatur für Hausarbeiten selbst aussuchen, hilft eine gute Vorbereitung. "Bei der Recherche können wir anhand bestimmter Kriterien schon gut aussortieren, welche Bücher überhaupt und welche Passagen davon wichtig für mein Thema sind", sagt Lehner. Zunächst sollten wir uns einen Überblick verschaffen, indem wir Titel, Untertitel, Inhaltsverzeichnis und Literaturverzeichnis begutachten.

Wenn uns die Literatur relevant erscheint, folgt eine weitere Prüfung: "Fünf Minuten Zeit sollten wir uns nehmen, um herauszufinden, wie der Text aussieht. Enthält er viele Metaphern oder konkrete Infos? Ist der Text durchgängig oder voller Grafiken?

Wenn ich ihn dann tatsächlich ausführlich lesen will, sollte ich ein System verwenden.

"Ich nehme zum Beispiel gerne kleine Post-Its und kennzeichne dann in unterschiedlichen Farben, wo eine Definition, ein Zitat, ein Beispiel oder Hinweise auf ein weiterführendes Thema sind", sagt sie. Wenn wir beim Schreiben der Hausarbeit dann etwas Bestimmtes brauchten, müssten wir gar nicht mehr im Text selbst suchen.

Auch wenn wir vielleicht kein Weltmeister-Niveau erreichen, bessere Lese-Skills können einiges verändern. Im Alter von 14 bis 16 Jahren lesen wir etwa 120 bis 250 Wörter pro Minute. Ein kompetenter Leser schafft 400 bis 450 Wörter pro Minute und ein Schnellleser sogar 750 bis 800 Wörter pro Minute. Unsere Geschwindigkeit und Effizienz lassen sich mit Tricks und Übungen steigern. Dann wirkt auch der Bücherstapel nicht mehr so abschreckend!

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