Anwesenheitspflicht an der Uni: Should I stay or should I go?

Tom Schmidtgen - 19.02.2018

Anwesenheitspflicht Uni

Wer oft fehlt, bringt in der Uni schlechtere Leistungen | Foto: dolgachov/Thinkstock

Anwesenheitspflicht vs. akademische Freiheit: Die aktuelle Debatte                      

Für mächtig Wirbel sorgte die Ankündigung der neuen Wissenschaftsministerin von Nordrhein-Westfalen, Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos), die Unis entscheiden zu lassen, ob sie ihre Studierenden in die Hörsäle verpflichten wollen oder nicht. Ähnliche Regelungen gibt es aktuell auch in Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Baden-Württemberg. In anderen Bundesländern wie Bayern und Schleswig-Holstein ist die Anwesenheitspflicht für Veranstaltungen aktuell abgeschafft. Allerdings wird in Schleswig-Holstein unter der neuen Jamaika-Regierung aus CDU, FDP und den Grünen am Gesetz gerüttelt und über eine Präsenzpflicht laut nachgedacht. Anfang 2017 gab es auch in Thüringen Diskussionen – dort führte die Uni Erfurt für Praktika und künstlerischen Unterricht eine Präsenzpflicht ein.

Die Regelungen sind also bundesweit durch die Bildungskompetenz der Bundesländer höchst unterschiedlich. Der Standpunkt der Studierenden dabei ist klar: Sie sind gegen eine Anwesenheitspflicht. Daniel Irmer vertritt als Sprecher in der Konferenz Sächsischer Studierendenschaften (KSS) die Interessen von über 100.000 sächsischen Studierenden. "Ich bin sehr zufrieden mit der aktuellen Situation in Sachsen, nach der es keine generellen Anwesenheitspflichten geben kann. Nur leider halten sich einige Dozierende wiederholt nicht daran und verlangen unrechtmäßig Anwesenheit. Da müssen wir auch als Studierendenvertretung gegen vorgehen, denn Anwesenheitspflicht verhindert ein individuelles und selbstbestimmtes Studium."

Eine Anwesenheit in Seminaren, Übungen oder Praktika kann allerdings bei guter Begründung in der Prüfungsordnung von Dozenten verlangt werden. Irmer dazu: "Eine Anwesenheitspflicht für Exkursionen und Praktika ist gerechtfertigt, wenn keine Kosten damit verbunden sind und es immer genügend Ausweichtermine gibt, die man ohne Probleme belegen kann." Allerdings betont er, dass die reine Anwesenheit bei Praktika noch kein Garant für den Prüfungserfolg sei. Eine hundertprozentige Anwesenheit darf es laut des Verwaltungsgerichthofes Mannheim aber nicht geben. Ein Politikwissenschaftsstudent der Uni Mannheim, der laut Prüfungsordnung zur absoluten Anwesenheit bei Seminaren verpflichtet werden sollte, hatte geklagt und bekam im Jahr 2017 Recht.

Gründe gegen eine Anwesenheitspflicht

Anders als in Schulen herrscht an Hochschulen ein freies, auf Selbstständigkeit bedachtes Lernen, das durch die Präsenzpflicht zerstört werden könnte. Denn wenn nicht nur Interessierte in den Veranstaltungen sitzen, sondern auch demotivierte Studierende, die nicht mitarbeiten wollen, herrscht ein schlechteres Lernklima.

Außerdem gebe es gute Gründe, die eine verpflichtende Anwesenheit unmöglich machen. Junge Mütter wollen Familie und Studium unter einen Hut bekommen, andere müssen ihre Eltern pflegen. Laut dem Deutschen Studentenwerk arbeiten außerdem über 60 Prozent aller Studierenden neben der Uni. Und trotz einer Modularisierung der Studiengänge seit der Bologna-Reform überschneiden sich Veranstaltungen oft.

Für die Unis hat das Fehlen von Studierenden auch seine Vorteile: In vielen Studiengängen sind mehr Studis immatrikuliert, als die Räumlichkeiten hergeben. Sollten also alle Studierenden zu den Veranstaltungen erscheinen, würden Seminarräume aus allen Nähten platzen.

Die Vorteile der Präsenz 

Trotz aller Kritik macht die Anwesenheit bei Seminaren und Vorlesungen schon Sinn. Laut einer Metastudie von Hochschulforscher Rolf Schulmeister führt schon dreimaliges Fehlen in Seminaren zu schlechteren Ergebnissen als bei Kommilitonen, die immer anwesend waren. Besonders oft fehlten demnach jüngere und leistungsschwache Studierende, während Ältere auch bei der Teilnahme an anspruchsvollen Veranstaltungen disziplinierter wären.

Nur vor Ort wird tiefergehend erklärt und diskutiert – dadurch werden die sozialen Fähigkeiten der Lernenden genauso geschärft wie Teamfähigkeit und Kritikbereitschaft. Für Dozierende ist die Situation, vor leeren Bänken zu lehren, außerdem sehr demotivierend.

Anwesenheitspflicht: ja oder nein?

Wie sieht also eine Lösung aus? Jeder Studentin und jedem Studenten sollte klar sein, dass er oder sie selbst für den Erfolg des Studiums arbeiten muss. Die Anwesenheit vor Ort ist dabei ein wichtiger Garant für bessere Noten. Doch sollte es weiterhin möglich sein, dass Studierende sich selbstständig und frei an der Uni bewegen können und neben dem Studium auch andere Beschäftigungen ausüben.

Eine echte Verpflichtung zur Präsenz kann daher nur in Ausnahmefällen geschehen: nämlich dann, wenn eine fehlende Anwesenheit nicht von zu Hause ausgeglichen werden kann. Laborpraktika und Exkursionen zählen sicher zu diesen Ausnahmeregelungen dazu.

Außerdem wird die Digitalisierung einiges an Druck aus der Debatte nehmen. So kann man sich vorstellen, dass Studierende zukünftig mehr und mehr Vorlesungen von zu Hause aus verfolgen können und E-Learning-Angebote von den Unis ausgebaut werden. Das bedeutet noch mehr Flexibilität für Studierende und Dozierende.

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