Psychosoziale Beratung: So bekommst du Hilfe an deiner Hochschule

Sandra Ruppel - 18.07.2018

Psychologische Beratungsstelle

Psychosoziale Beratung kann helfen, Lösungsansätze zu entwickeln. | Foto: Nik Shuliahin/Unsplash

Jeder sechste Studierende leidet unter psychischen Problemen

Das Studium in Regelzeit durchziehen, den Zweitversuch nicht verhauen, drei Praktika und einen Auslandsaufenthalt machen, auf jeden Fall die Eins vorm Komma auf dem Abschlusszeugnis halten – diese Gedanken kommen wahrscheinlich so ziemlich jedem bekannt vor, der aktuell einen Bachelor oder Master macht. Ganz schön viel Druck. Druck der im schlimmsten Fall sogar ernstzunehmende Folgen für die psychische Gesundheit haben kann: Laut dem Barmer Arztreport, der Anfang des Jahres veröffentlicht wurde, leidet jeder sechste Studierende unter psychischen Erkrankungen. Umgerechnet auf die 2,8 Millionen, die aktuell an einer deutschen Hochschule eingeschrieben sind, entspricht das etwa 470.000 Studierenden. 86.000 davon sind von einer Depression betroffen.

Belastungsfaktor Leistungsdruck im Studium

Natürlich bekommt nicht jeder Studierende, der im Stress ist, automatisch eine psychische Erkrankung. Und auch nicht jeder Studierende, der eine psychische Erkrankung hat, hat diese bekommen, weil das Studium mit Prüfungsstress verbunden ist. Trotzdem gehören Prüfungsangst, Existenzängste und Leistungsdruck zu den Hauptgründen, warum Studierende die Psychologische Beratungsstelle aufsuchen, berichtet Diplom-Psychologin Ranja Kaiser von der Ruhr-Universität Bochum (RUB). "Vor allem die Regelstudienzeit macht Druck, weil Studierende glauben, sie müssten es um jeden Preis in dieser Zeit schaffen", so die Therapeutin. "Das ist sehr häufig mit einem hohen Leistungsanspruch verbunden und der Angst, keine Stelle zu bekommen."

Zusammen mit ihren Kolleginnen und Kollegen betreut Kaiser Studierende an der RUB, die sich Unterstützung bei oben genannten Problemen wünschen. Aber auch Konzentrationsschwierigkeiten, Motivationsprobleme, Schreibstörungen oder Themen aus dem privaten Lebensbereich belasten manche Studierenden so sehr, dass sie die Psychologische Beratung nutzen möchten.

Psychologische oder auch psychosoziale Beratung durch ausgebildete Psychologen gibt es nicht nur an der Uni in Bochum. Auch die meisten anderen Hochschulen in Deutschland bieten eine solche Kurzzeitberatung an, die fünf bis zehn Gesprächstermine umfassen kann – je nach Uni, Größe des therapeutischen Beratungsteams und dem Bedarf des jeweiligen Ratsuchenden.

Wann psychosoziale Beratung hilfreich sein kann

Aber wie merkt man überhaupt, dass man Hilfe in Anspruch nehmen sollte? "Ein Warnsignal kann es sein, wenn Studierende einen hohen Leidensdruck verspüren und merken, es belastet sie etwas so sehr, dass es sich negativ aufs Studium oder das Privatleben auswirkt", sagt Ranja Kaiser.

Auch wenn man feststellt, dass man in seiner Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist, sich nicht mehr richtig konzentrieren kann, die Gedanken nur noch um ein Thema kreisen oder man im Studium keine Erfolge mehr erlebt und sich immer weiter zurückzieht, können das erste Signale sein, erklärt die Psychologin. "Wenn die Probleme studienbezogen sind, berichten manche Studierenden auch, dass sie auf dem Weg zur Uni schon Ängste oder Panikgefühle entwickeln oder dass Symptome wie Kopfschmerzen oder Übelkeit auftreten."

Wer häufig nicht zur Vorlesung geht, sollte sich den Grund bewusst machen

So krass muss es aber auch gar nicht sein: "Das kann sich auch schleichend einstellen, indem die Studierenden häufiger entscheiden, nicht zur Vorlesung zu gehen", weiß die Therapeutin. "Wenn man das für sich feststellt, muss man gut unterscheiden: Gehe ich heute nicht zur Vorlesung, weil ich es mir inhaltlich sparen kann oder gehe ich nicht hin, weil es mir unangenehm ist, Menschen zu begegnen?", so Kaiser.

"Manchmal ist das Fach, das man gewählt hat, auch nicht so, wie man es sich vorgestellt hat und die Motivation geht verloren. Bevor man also mehrere Semester mit großer Unzufriedenheit verbringt, sollte man lieber früh in die Beratung kommen", empfiehlt sie. "Wir können dann gemeinsam überlegen, was die möglichen Ursachen sein könnten und was zu tun ist."

Wie läuft ein Beratungsgespräch ab?

Natürlich ist es sinnvoll, sich ungefähr darüber bewusst zu sein, welche Themen einem zu schaffen machen und was man in der Beratung ansprechen möchte. Aber ansonsten muss man sich nicht besonders vorbereiten: "Es gibt keinen festen Ablauf", so Kaiser. "Ich lade die Ratsuchenden zu Beginn des Gesprächs dazu ein, alles zu erzählen, was sie für relevant halten, damit ich ihr Problem verstehe", erklärt die Therapeutin ihre Arbeitsweise.

"Ich überlege dann, wie eine Unterstützung aussehen könnte, damit wir am Ende des Gespräches schon mal erste Ideen für das weitere Vorgehen haben", berichtet Kaiser. "Wir können Begleitung für eine gewisse Zeit anbieten – das ist besonders dann sinnvoll, wenn es um studienbezogene Probleme geht. Falls ich denke, wir können mit unserem Setting hier nicht das bieten, hilfreich wäre, überlegen wir gemeinsam, welche Anlaufstelle die passendere wäre."

Psychologische Beratung: Keine Angst vor Konsequenzen!

Sich Unterstützung zu holen, wenn man selbst mit einem Problem gerade nicht mehr weiterkommt, ist mutig und wichtig. Leider ist es aber nach wie vor so, dass es für manche mit großer Scham belegt ist, sich psychisch belastet zu fühlen und darüber hinaus um Hilfe zu bitten. Oder aber, der Studiengang, den man gewählt hat, gibt einem das Gefühl, dass man keine psychologische Unterstützung in Anspruch nehmen darf. Etwa weil man auf Lehramt studiert und den Wunsch hat, verbeamtet zu werden.

Daher ist es wichtig zu wissen, dass es keine negativen Auswirkungen hat, wenn man die psychosoziale Beratung an einer Hochschule aufsucht: "Wir arbeiten nicht mit den Krankenkassen zusammen und geben auch keine Daten weiter", stellt Ranja Kaiser klar. "Daher gefährdet eine Beratung hier eine Verbeamtung nicht. Tatsächlich fürchten Lehramtsstudierende häufiger, eine Verbeamtung aufs Spiel zu setzen, wenn sie eine ambulante Therapie beginnen."

Eine komplett paradoxe Problematik, wie Kaiser findet: "Eine Therapie kann gerade dazu beitragen, die Berufsfähigkeit zu erhalten. Wenn aber Lehramtsstudierenden das Gefühl gegeben wird, sie dürften keine Therapie machen, gefährdet das ja ihre Gesundhaltung im Beruf erst recht."

Hol dir Hilfe, wenn du Hilfe brauchst!

In schwierigen, belastenden Phasen des Studiums Hilfsangebote zu nutzen, zeugt davon, dass man Verantwortung für sich selbst übernehmen kann. Und dass man seinen (Selbst-)Wert kennt. Die psychologische oder psychosoziale Beratung an den Unis kann und will eine Langzeittherapie nicht ersetzen. Bei vielen Studierenden, die die Beratung aufsuchen, ist aber auch gar keine längerfristige Therapie nötig. Sondern es reicht, einige Male mit jemandem zu sprechen, der einen objektiven Blick von außen auf die Situation wirft und Rat und neue Impulse geben kann.

Psychosoziale Beratungsstellen: Kurz & Knapp

  • Wo gibt es Psychologische Beratungsstellen?
    So ziemlich jede Uni hat eine Psychologische oder Psychosoziale Beratungsstelle. Häufig werden, wie beispielsweise an der RUB, auch zusätzliche Programme angeboten, die Studierenden bei Schreibblockaden helfen. Oder dabei, sich so zu organisieren, dass man Deadlines einhalten kann.
  • Wer kann die Beratung nutzen?
    Eingeschriebene Studierende können die Beratung an ihrer jeweiligen Hochschule nutzen.
  • Wer führt die Beratung durch?
    Psychologen, gegebenenfalls haben sie zusätzliche Therapieausbildungen mit verschiedenen Schwerpunkten.
  • Kostet die Beratung etwas?
    In der Regel ist die Beratung für Studierende kostenlos.
  • Wie kann man sich anmelden?
    Das kann von Uni zu Uni variieren, oft ist sie persönlich, telefonisch und manchmal auch per E-Mail möglich. Am besten schaust du selbst nach, wie die Terminvergabe an deiner Uni funktioniert.
  • Wie schnell bekommt man einen Termin? 
    Es kann sein, dass du mit einer Wartezeit von drei bis sechs Wochen rechnen musst, bis du einen ersten Termin bekommst. Das hängt von der Auslastung des Therapeuten-Teams ab. Für besonders akute Fälle gibt es, wie zum Beispiel an der RUB, manchmal auch Krisensprechstunden.
  • Wie viele Gesprächstermine kann man nutzen?
    Das hängt individuell von den Universitäten ab. In der Regel kannst du drei bis fünf, manchmal sogar zehn Termine wahrnehmen. Wenn deutlich wird, dass Probleme eine lange Vorgeschichte haben und nicht innerhalb der Kurzzeitbehandlung zu bewältigen sind, kann man dich in der Psychologischen Beratung dabei unterstützen, einen ambulanten Therapieplatz zu finden.

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