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28. Okt 2011

Stephan Hammers

Archiv

"Man kann mit dem Studieren richtig Glück haben"

-ARCHIV-

Der "Uni-Bluff"-Autor und ehemalige Rektor Wolf Wagner spricht Tacheles

"Komplett keine Ahnung, das läuft nicht"

UNICUM: Kann ich erkennen, wenn ein Kommilitone an der Uni blufft, also vorgibt, ganz schlau zu sein, ohne es wirklich zu sein?
Wolf Wagner: Nein. Der Bluff funktioniert ja meistens so, dass er nicht völlig erfunden ist. Es ist wie beim Pokern: Mit einem ganz schlechten Blatt bluffe ich nicht, sondern mit mittelguten Karten. Man motzt einfach auf mit Fremdwörtern oder Phrasen wie „wie schon Hegel gesagt hat …“. Komplett keine Ahnung, das läuft nicht. Und bei den Profs ist es ja genauso. Der Habitus ist, alles so vorzutragen, als ob eine ganze Bibliothek dahinterstehen würde. Karriere an der Uni kriegen sie nicht hin, ohne den Bluff.

Gibt es unterschiede bei den Studiengängen?
Ja, es ist in der Mathematik zum Beispiel sicher schwieriger, zu bluffen, aber auch da kann man vorgeben, die schwierigsten mathematischen Probleme zu beherrschen. In der Philosophie und den Gesellschaftswissenschaften ist der Bluff natürlich am leichtesten, weil es da keine verbindliche Grundtheorie gibt.

Sie geben Studenten den Tipp, sich gleich zu Beginn des Studiums in die schwierigsten Veranstaltungen des Fachs zu setzen. Was soll das bringen?
Man soll möglichst früh herausfinden: Schaffe ich dieses Fach? Wenn nicht, wenn mich die schwierigsten Inhalte total abschrecken, und ich denke, ich werde sie nie bewältigen können und keinen Spaß daran haben, dann kann ich noch rechtzeitig das Fach wechseln.

Ist es unglücklich, wenn in Veranstaltungen Studierende aus verschiedenen Semestern sitzen, also im Extremfall Erstsemester und solche, die kurz vor dem Examen stehen?
Das ist schon problematisch. Da gibt es die Angst vor dem klugen Gesicht. Da trauen sich die jüngeren entweder gar nicht, etwas zu sagen, oder sie bedienen sich wiederum des Bluffs …

Bitte mehr Wortmeldungen in Seminaren

Was können Studierende für eine bessere Lehre tun?
Ich habe festgestellt, dass in vielen Seminaren ein Wettkampf des Schweigens herrscht. Aus der Angst, sich zu blamieren, melden sich Studierende nicht zu Wort. Doch sie sollten Mut auch zu Fehlern haben. Die Professoren sind meistens glücklich, wenn da was passiert. Wenn die Studierenden sich einbringen, ist ein geistiges Klima da, das Spaß macht. Natürlich muss der Prof dann auch mehr arbeiten …

Ist Konkurrenz als Ursache für den Bluff ein generelles Problem?
Wenn die Konkurrenz auf die Noten geht, dann ist man Schüler geblieben. Ich habe meine Aufgabe als Professor immer darin gesehen, aus Schülern Studenten zu machen. Studenten sind getrieben von Neugier, der Schüler zielt nur auf die Note. Ein Streit um die Sache ist ein schöner Wettkampf. Ich schlage ja Studenten vor, zwischen einem Inhalts- und einem Aufstiegsstudium zu unterscheiden. Das Aufstiegsstudium, also das gucken, wie ich an gute Noten und an Reputation komme, ist notwendig, aber nicht mehr. Als Student sollte ich für mich selbst in erster Linie darauf bedacht sein, mir Zeit für ein Inhaltscurriculum freizuschaufeln und meiner Neugier zu folgen. Der Rest ist Kosmetik. 

Ich behaupte ja, man kann mit dem Studieren richtig Glück haben, am Stoff. Wenn man sich allerdings nur auf das Aufstiegsstudium konzentriert, dann landet man im Unglück.


Die zehn goldenen Regeln des Uni-Bluffs

1. Wenn du etwas nicht weißt, schweige und mache ein kluges Gesicht. Schaue später im Internet nach. Zeige niemals, dass du etwas nicht weißt.

2. Stelle nie Fragen, deren Antwort du nicht weißt. Fragen sind nicht dazu da, etwas herauszufinden, sondern um zu zeigen, wie toll du bist.

3. Wenn du die Wahl hast zwischen einem deutschen Wort und einem Fremdwort, nimm das Fremdwort, und zwar ein möglichst exotisches. Es erhöht auf magische Weise die Bedeutsamkeit dessen, was du zu sagen hast.

4. Mache dich unangreifbar mit relativierenden und scheinbar differenzierten Aussagen, die Füllsel wie "manchmal", "häufig", "oft", "gewöhnlich" enthalten, sprich im Konjunktiv und lege dich nie fest, mache deine Darstellung vielmehr so überkomplex, dass du immer ausweichen kannst: "Das habe ich doch gar nicht gesagt." Oder: "Das müssen Sie missverstanden haben."

5. Verwende nie das Wort "Ich", etwa in der Form: "Ich denke, dass...". Wissenschaft lebt nicht vom Denken, sondern vom Zitieren. Rede also davon, dass "die wissenschaftliche Literatur sich überwiegend einig ist, dass..." oder dass "neuste wissenschaftliche Studien zeigen, dass...". Auf etwaige Nachfragen erkläre arrogant, dass sich der Nachfragende gefälligst selbst kundig machen soll.

6. Wenn du zu einem Thema selbst nichts zu sagen hast, rede möglichst lang und umständlich darüber, was berühmte Leute aus deinem Fach dazu gesagt haben.

7. Wenn du etwas nicht richtig verstanden hast, stelle den Sachverhalt selbst besonders unverständlich dar und verdecke die Schwachstellen mit Verweisen und Zitaten berühmter Namen des Fachs, auch wenn sie nicht so richtig dazu passen. Niemand wird es auch nur wagen, irgendeine Nachfrage zu stellen.

8. Greife wenig bekannte Autorinnen und Autoren heftig und arrogant an, zerfetze sie in der Luft, moralisch, intellektuell und persönlich. Niemand wird sie verteidigen, und du zeigst deine Überlegenheit und schreckst potentielle Kritiker ab.

9. Verwende jede auch noch so unwichtige und bedeutungslose Quelle, insbesondere, wenn du davon ausgehen kannst, dass sie niemand kennt, und lege ein möglichst umfassendes Literaturverzeichnis an, in dem außer den Schriften der Größen des Faches und deiner etwaigen eigenen Werke alles aufgeführt wird, was zu dem Thema je geschrieben worden ist, ganz gleich, ob du es gelesen hast oder nicht.

10. Lerne frühzeitig das richtige akademische Auftreten, indem du die Erfolgreichen deines Faches imitierst. Selbst wenn du sie karikierst, wird es keiner merken. Deine Dozenten werden dich für einen gelehrigen Schüler halten und entsprechend fördern. Denn so bleibt alles, wie es ist.


UNICUM Buchtipp

Wolf Wagner

Uni-Angst und Uni-Bluff heute - Wie studieren und sich nicht verlieren

Rotbuch Verlag

128 Seiten

8,90 Euro

 

 

 

 

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