Richtig sitzen

Marie Illner - 11.10.2018

richtig sitzen

Studierende sitzen häufig über acht Stunden am Tag. Die Folge: Verspannungen | Foto: seb_ra/Getty Images

Rückenschmerzen sind kein Rentnerthema

UNICUM: Rückenschmerzen, richtiges Sitzen und gute Haltung – sind das nicht eher Themen für das Rentenalter?

Lang: "Nein, ganz und gar nicht. Schon in unserer Kindheit und Jugend trainieren wir uns Bewegungsmuster und Haltungen an, die wir für den Rest unseres Lebens beibehalten. Wer in diesem Alter bereits seine Verspannungen chronisch werden lässt und sich angewöhnt, mit einem Buckel am PC zu hängen, wird später echte Probleme kriegen. Der tägliche Umgang mit unserem Bewegungsapparat hat langfristige Einflüsse auf unsere Gesundheit. Die gute Nachricht: Man kann in seinen Zwanzigern noch sehr viel verändern."

An welcher Stelle wird’s bei Studenten denn problematisch?

"Aus physiologischer Sicht sitzen Studenten viel zu lange: Der Sitzmarathon beginnt morgens im Zug, zieht sich über den Hörsaal und die Mensa bis zur Nachbereitung zuhause. Und zur Entspannung lockt abends die Playstation mit – Sitzen.  Es gibt Untersuchungen, die aufzeigen, dass Studenten im Schnitt über acht Stunden täglich sitzend verbringen. Der Körper kann zwar eine ganze Menge aushalten, Monotonie stellt aber ein großes Problem für ihn dar. Einseitige Haltungen und Bewegungsmuster garantieren den Physiotherapeuten ihren Lohn."

...was können die Folgen von dauerhaftem langen Sitzen sein?

"Das Herz-Kreislaufsystem wird unterfordert und die Muskulatur bekommt monotone Reize, die zu Verkürzungen, Abschwächungen oder Verspannungen führen können. Auch bei dem Versuch, trotz des langen Monologs des Dozenten, eine wach-scheinende Sitzhaltung beizubehalten, nimmt die Muskulatur eine Art Dauerspannung ein. Sie drückt dabei auf die eigenen Blutgefäße und es kommt zu einer Unterversorgung mit Sauerstoff – der Muskel verspannt. Langfristig drohen im schlimmsten Fall Haltungsschäden wie ein Rundrücken, Schiefstellungen der Wirbelsäule und sogar Herzkreislauferkrankungen."

Mit den richtigen Übungen Verspannungen vermeiden

Was können Studenten tun, um dem vorzubeugen?

"Das fängt schon beim Stundenplan an: Man sollte die Vorlesungen am besten so legen, dass inaktiven Phasen möglichst oft unterbrochen werden. Mein Tipp: Höchstens zwei Stunden am Stück sitzen und bestmöglich die folgende Vorlesung so wählen, dass sie am anderen Ende des Campus liegt. Und wer dann noch die Campusbahn nimmt, ist selbst schuld…"

Was empfiehlt der Physiotherapeut für die Zeit zwischen den Vorlesungen?

"Bewegung! Mein Tipp: Für Miniübungen eignet sich besonders ein blaues oder schwarzes Theraband (kostet zwischen acht und 12 Euro). Stellt euch mit geschlossenen Füßen auf die Mitte des Bandes, die Enden in je eine Hand. Das Band muss im aufrechten Stand bereits gut gespannt sein. Nun zieht ihr die Schultern zu den Ohren, lasst die Ellbogen aber gestreckt. Studenten kennen das: Es ist die "Ich-weiß-nicht-Bewegung". Einen Wechsel aus maximalem Hochziehen und Entspannen (ca. vier Sekunden) wiederholt ihr 50 Mal. So werden die Muskeln widerstandsfähiger gegen die Haltungen im Studentenalltag und Nackenverspannungen nach drei Wochen deutlich besser. Wichtig ist aber: Es muss jedes Mal anstrengend sein. Wenn 50 Wiederholungen zu leicht werden, das Band etwas straffer nehmen. Und: Dran bleiben! Nur Kontinuität führt zum Erfolg!"

...geht’s auch einfacher ohne Theraband?

"Das Erste, was jeder macht, wenn er die ersten Verspannungen spürt, ist bereits der richtige Ansatz: Die Schultern kreisen, den Rücken einmal durchbewegen. Neuer Sauerstoff erreicht so die Zellen und man fühlt sich für ein paar Minuten schon etwas besser. So einfache Maßnahmen sind simpel, jederzeit durchführbar und effektiv. Das Geheimnis gegen Verspannungen: Dynamische Muskelarbeit. Das An- und Entspannen im Wechsel wirkt wie ein Pumpmechanismus. Je intensiver, desto besser."

Richtig sitzen beim Lernen

Stichwort Lernen. Welche Haltung empfiehlt der Physiotherapeut beim Pauken?

"Weder schief im Sofa rumhängen, noch kerzengerade am Schreibtisch hocken ist gut. Nur Abwechslung hält den lernwilligen Studenten fit. Ein klassischer Satz aus der Rückenschule lautet: ‚Die nächste Sitzhaltung ist immer die Beste‘. Mein Tipp: Einmal ausprobieren im Stehen zu lernen! 2017 wurden im Rahmen einer Studie in Iowa, USA an 300 Studenten Stehtische getestet. Über ein Drittel gab deutliche Verbesserungen bezüglich der Konzentrationsfähigkeit und der Wachheit an. Höhenverstellbare Schreibtische gibt es schon für 80 Euro. Auch in der Vorlesung könnte man das mal versuchen: Moderne Dozenten werden es bestimmt lächelnd hinnehmen."

...und in der Lernpause?

"Erstmal: Zu Hause kann man im Unterschied zum Hörsaal häufiger aufstehen und sich bewegen. Der Physiotherapeut in mir empfiehlt zwar alle fünf Minuten, so wäre aber wohl kaum effektives Lernen möglich. Mein Tipp: Stellt euch einen Timer auf 30 Minuten und macht dann für drei Minuten Pause. In dieser Zeit schnappt ihr euch ein Theraband und bindet es mittig um einen Türgriff. Nehmt beide Enden in eure Hände und stellt euch davor. Haltet die Hände gestreckt vor den Bauch und tretet so weit zurück, dass das Band minimal gespannt wird. Los geht’s: Zieht die Enden des Bandes weit nach hinten, ohne die Fußstellung zu verändern. Das geht nur über eine maximale Drehung des Oberkörpers nach links und rechts. Wiederholt das 20 bis 30 Mal. So werden die schrägen Bauchmuskeln aktiviert und die Wirbelsäulengelenke mobilisiert. Noch einen Kaffee hinterher und die Klausurvorbereitung kann weitergehen!"

Nicht am Schreibtischstuhl sparen!

Ist es sinnvoll, das Geld fürs Ausgehen und Feiern beim Schreibtischstuhl zu sparen?

"Nein! Die Stühle an der Uni sind und bleiben schlecht, aber zu Hause hilft ein ergonomischer Schreibtischstuhl, länger durchzuhalten. Ergonomisch sinnvoll heißt: Der Stuhl unterstützt die natürliche S-Form der Wirbelsäule, hat eine Kopfstütze, Armlehnen und Sitzhöhenverstellung. Die Sitzhöhe sollte so eingestellt sein, dass Ellenbogengelenk, Hüft- und Kniegelenke ungefähr im rechten Winkel eingestellt sind. Gute Stühle gibt es außerdem schon für unter 100 Euro. Mein Tipp: Wer viel am PC arbeitet, sollte auch auf seine Handgelenke achten. Sonst freuen sich Tennisarm und Karpaltunnelsyndrom auf ihre Chance. Pausen sind einmal mehr das Nonplusultra – am besten mit Dehnübungen für die Unterarmmuskulatur. Während des Tippens kann man mit Hilfe von sogenannten Handgelenksauflagen für eine gerade Haltung im Gelenk sorgen."

...klingt alles gar nicht so schwierig!?

"Das ist es auch nicht –  Bewusstsein entwickeln ist der erste und wichtigste Schritt! Nehmt Eure Bewegungen und Haltungen nicht als selbstverständlich hin. Studenten lernen, Gegebenheiten zu analysieren. Macht gleich bei eurem Bewegungsapparat weiter und ihr erspart euch so manchen Arztbesuch in eurem Leben."

Über den Experten

Daniel Lang (32) ist Physiotherapeut und Personal Trainer in Bochum. Seit 2014 ist er als Dozent für Physiotherapie an der Akademie für Gesundheitsberufe in Wuppertal für die Fächer Neurodynamik und Rückenschule zuständig. Nebenbei bildet er für die Akademie für Sport und Gesundheit im Bereich Medizinisches Fitnesstraining aus.

FAQ: Häufige Fragen

Was ist die gesündeste Art zu Sitzen?

Die aufrechte Sitzhaltung gilt als die gesündeste Art zu sitzen. Der Grund liegt darin, dass so wirkende Kräfte der Schwerkraft auf die Muskulatur möglichst klein gehalten werden.

Wie Sitzen um den Rücken zu entlasten?

Auch wenn man lange sitzt sollte man versuchen oft aufzustehen und sich bewegen, um so die untere Wirbelsäule zu lockern.

Warum tut langes Sitzen weh?

Unser Körper ist nicht für langes Sitzen gemacht. Dadurch entwickeln wir Fehlhaltungen und die Bandscheiben werden zu stark belastet.

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