Lieb und teuer: Ilan Stephani war Studentin und Prostituierte

Ann-Christin Kieter - 26.10.2017

Studentin Prostitution

Ilan blickt positiv auf ihre zwei Jahre im Puff zurück | Fotos: Thinkstock/adamico70, Merav Maarody

Als Studentin in die Prostitution: Huren waren erst der Feind – dann wurde Ilan selber eine

UNICUM: Wenn man "Studentin arbeitet im Puff" hört, hat man automatisch die Schlagzeile im Kopf: "Bachelor treibt in die Prostitution". Bei dir waren Geldsorgen aber überhaupt nicht das Motiv für deinen Job als Prostituierte.
Ilan: Nein, gar nicht. Am Gymnasium hatte ich eine Lehrerin, die mit uns Alice Schwarzer gelesen hat. Durch sie wurden wir alle zu blühenden Feministinnen. Schwarzer vertritt die Meinung, dass Prostitution sexuelle Gewalt ist. Deswegen war es dann auch für mich ein No-Go. Als ich nach dem Abi nach Berlin gekommen bin, wollte ich dort quasi den Feind kennenlernen. Also bin ich zu einem von der Hurenorganisation Hydra organisierten Frauenfrühstück gegangen. Im ersten Moment war ich total enttäuscht, weil ich dachte, es wären gar keine Prostituierten da. Bis eine Sozialarbeiterin mir sagte: "Du bist die einzige Nicht-Prostituierte heute." Da wurde mir klar, dass all die Klischees falsch sind. Und ich behaupte: Wenn mehr Frauen dieses Erlebnis hätten, würden auch mehr überlegen, in die Prostitution zu gehen.

Wie war denn deine Vorstellung von Prostituierten vorher?
Ich hatte vor allem das Bild vor Augen, dass die Frauen ausländischer und exotischer sind als ich. Dass sie ein ganz anderes Outfit haben, schrill und extrem aussehen und Make-up tragen. Außerdem dachte ich, sie beschäftigen sich mit anderen Themen, reden über Sex. Und ich hatte erwartet, dass sie mehr unter Stress sind und ihr Leben problematischer ist. Das war alles nicht der Fall.

Wie kamst du zu dem Entschluss, selbst im Puff anzufangen?
Ich bin zu einer Einstiegsberatung von Hydra gegangen. Die haben viel abgefragt, zum Beispiel, ob ich einen Freund habe, der das gerne hätte. Dass man es aus Liebe tut, ist nämlich ein Klassiker und dann hätte sie mir davon abgeraten. Da das bei mir nicht der Fall war, habe ich zwei Adressen von Bordellen bekommen, die gut zu mir passen könnten. Zu einem bin ich dann hin und gleich zwei Jahre geblieben.

"Der Sex ist im Puff oft genauso langweilig wie zuhause"

Kannst du beschreiben, wie du dich an deinem ersten Tag gefühlt hast?
An den Morgen erinnere ich mich nicht mehr so genau. Nur an eine riesengroße Neugierde. Und ein Triumphgefühl. Ich war 19 und mein ganzes Leben war bislang davon geprägt, was man gerne von mir hätte: Abitur, gute Noten etc. Mich hat so geflasht, dass ich machen konnte, was ich wollte. Daran erinnere ich mich – neben all den Fragezeichen, die da waren: Wie funktioniert das jetzt hier? Und: Hoffentlich vergesse ich nicht meinen Künstlernamen...

Und Angst oder Ekel hattest du gar nicht?
An Ekel kann ich mich wirklich nicht erinnern und ich glaube auch nicht, dass ich den unterdrückt habe. Ich bin da einfach nicht so. Außerdem müssen alle Männer vorher duschen und ein Kondom ist Pflicht. Angst hatte ich auch keine, weil ich von vielen tollen Frauen umgeben war, die mir Fragen beantwortet und mir versichert haben, dass es völlig okay ist, aufzuhören, wenn es mit einem Mann nicht klappt. Meinen ersten Sex mit einem Freier hatte ich gleich am ersten Tag. Aber eines der ersten Dinge, die ich im Puff gelernt habe, ist: Der Sex ist oft ganz genauso wie privat. Das heißt auch: genauso langweilig.

Würdest du sagen, du bist von Natur aus eher offen in Sachen Sex?

Interessant, dass du das fragst. Ein typisches Klischee der Prostitution ist nämlich, dass es so eine Art Sexbesessenheit gibt. Ich bin aber kein besonders sexueller Mensch. Aber ich habe nie diese Bindung erlebt, dieses: Da gehört ganz viel Liebe und Vertrauen dazu. Wir sind alle keine Sexbomben (schaut kritisch an sich herunter, Anm. der Red.). Was wir anbieten, ist eine Dienstleistung.

Die Eltern haben sie einfach machen lassen

Hat es denn zwei Jahre gedauert, bist du gefunden hast, wonach du suchst? Oder warum bist du so lange geblieben?
Ich war gar nicht auf der Suche nach einer bestimmten Erkenntnis. Aufgehört habe ich, weil ich satt war. Das Abenteuer ist zur Routine geworden. Die Kontakte waren nicht mehr so reich. Ich habe mich nicht mehr gefreut, dort hinzugehen.

Hast du einen deiner Kunden eigentlich mal "draußen" wiedergetroffen?
Ja, allerdings waren das harmlose Settings. Ich erinnere mich zum Beispiel an einen, der im Bioladen plötzlich neben mir stand. Oder andersherum ist mir auch mal passiert, dass ich im Puff ein bekanntes Gesicht entdeckt habe. Ich habe dann immer gehofft, dass es nichts mit der Uni zu tun hat.

Wie offen bist du denn mit deinem Job umgegangen? Wer wusste davon?
Ich bin sehr offen damit umgegangen. Ich habe es nur niemandem auf die Nase gebunden und ein bisschen darauf geachtet, dass es auf dem Campus nicht die Runde macht. Meinen Eltern habe ich es nach einem halben Jahr erzählt. Und zwar am Telefon. Ich hab gesagt: Ich habe einen Tag im Puff gearbeitet. Das hätte aber auch heißen können, dass ich als Putzfrau dort war. Mein Vater hat dann von sich aus gefragt: Machst du weiter? Da dachte ich: Alter, Respekt! Meine Eltern leben auf dem platten Land in Niedersachsen, haben nicht mal einen Fernseher und diesbezüglich sehr wenig Ahnung. Dass sie mich einfach haben machen lassen, rechne ich ihnen hoch an.

"Ist das, was auf Studentenpartys läuft, so viel anders?"

Du sprichst in deinem Buch "Lieb und teuer" davon, dass wir eine verwirrte Gesellschaft sind. Was meinst du damit?
Wenn wir nicht verwirrt sind, wollen wir beim Sex einander erreichen und glücklich machen. Das klappt aber meistens nicht. In dem Sinne sind die Gründe für Prostitution für mich sehr traurige. Im Kern der Motive meiner Männer lag nicht: Meine Frau langweilt mich. Ich bekomme von ihr nicht was ich will. Sondern: Ich weiß nicht, wie ich eine Frau sexuell erreichen kann, möchte das aber gerne. Das große Glücksversprechen, das die Hure bietet, ist genau die Erreichbarkeit. Der Punkt dahinter ist allerdings, dass ich jemanden auch nur eine halbe Stunde anlächle, weil er für eine halbe Stunde bezahlt hat. Deswegen macht Prostitution nicht wirklich glücklich.

Was genau ist deine Intention?
Ich hab es aus zwei Gründen geschrieben, die für mich auch zusammen spielen. Zum einen hat mir in Büchern oder Talkshows immer etwas gefehlt. Es ging rein um diese Täter-Opfer-Rhetorik, die für mich nicht stimmt. Prostituierte sind nicht einfach Opfer, Freier nicht einfach Täter. Man sollte sich auch mal fragen, was mit einem selber ist. Ist das, was auf Studentenpartys läuft, so viel anders? Ist es der bessere Deal, wenn man Sex gegen Anerkennung tauscht statt gegen Geld? Ich wollte etwas Unbequemes für die Gesellschaft schreiben. Und das andere ist, dass ich Prostitution als Art "Kopfschmerzen der Gesellschaft" erlebt habe. Der Schmerz ist ein Signal für etwas, das schiefläuft, und ich dachte mir: Wie wäre es, wenn man keine Aspirin gegen die Symptome schluckt, sondern der Ursache auf den Grund geht? Unter anderem springt dabei raus, dass Männer im Kern sexuell gute Wesen sind und keine Problemfälle, die froh sein können, dass die Natur sie nicht zu Vergewaltigern macht.

Sie wurde vergewaltigt und steigt trotzdem nicht aus

Laufen Prostitutions-Kritiker nicht Sturm, wenn eine Ex-Prostituierte Männer in Schutz nimmt?
Schon. Aber wann immer Leute mir vorwerfen, dass ich die Prostitution verharmlose, kann ich denen nur vorwerfen, dass sie mein Buch nicht gelesen haben. Als Körpertherapeutin arbeite ich aktuell mit Frauen zusammen, die ein sexuelles Trauma haben, und ich bin selbst vergewaltigt worden. Ich bin die Letzte, die Männer in Schutz nimmt. Nur: Wer mich an diesem Punkt überhören will, der überhört mich auch, wenn ich es auf jeder Seite fett drucke. Das Problem ist zudem ein sprachliches. Nämlich, dass wir nur ein Wort für eine Prostituierte haben, egal ob sie auf den Straßenstrich geht oder in einem Bordell arbeitet. Dabei sind das völlig gegensätzliche Arbeitswelten.

Deine Vergewaltigung, die du gerade angesprochen hast, ist dir bei der Arbeit passiert. Warum bist du danach nicht sofort ausgestiegen?
Der Vorfall war im ersten halben Jahr. Aufzuhören, stand damals für mich überhaupt nicht zur Debatte. Es lag wohl einfach daran, dass ich so begeistert war von dem, was ich dort alles erlebt habe. Außerdem hätte ich damals auch aus der Situation rauskommen können, wenn ich "Stopp" gesagt hätte. Was ich aber nicht getan habe, weil ich in mir das Tabu hatte, Nein zu sagen und aufzuhören zu lächeln. Das hatte nichts mit dem Puff-Setting zu tun, sondern allein mit mir und mit dem, was ich als Tochter aus gutem Haus und Akademiker-Mädchen gelernt habe. Das Gleiche hätte mir auch in der Disco passieren können.

Haben sich deine Erfahrungen aus dem Puff auch irgendwie auf dein berufliches Leben ausgewirkt?
Der Puff hat mir auf mehreren Ebenen geholfen. Vor allem aber habe ich dort gelernt, nicht mehr so einen Respekt zu haben vor einem lückenlosen Lebenslauf. Die Leute, mit denen ich dort Sex hatte, die hatten genau das: 0,9er-Abi, Professur mit 24. Trotzdem waren sie nicht glücklicher als der Bauarbeiter, der davor mit mir Sex hatte. Viele junge Menschen haben zu viel Respekt vor Autoritäten und Uni-Karrieren. Dabei sollte man einfach das tun, was man liebt, und nicht das, was vermeintlich richtig ist.

UNICUM Buchtipp

Lieb und teuer: Was ich im Puff über das Leben gelernt habe

Ilan Stephani

Ecowin Verlag, 12. Oktober 2017

Preis: 20 Euro (gebundene Ausgabe)

Die Autorin über den Titel: "Im Grunde gibt es zwei Ebenen. Die eine ist: Männern ist lieb und teuer, mit uns im Kontakt zu sein. Und die andere ist – und das hat was sehr Böses: Ich bin lieb, ich bin die passende Projektionsfläche, ich gebe dem Mann immer Recht. Und es ist teuer."

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