Diagnose: Krebs. Drei Studierende und ihr Leben mit der Krankheit

Rudolf Bede - 10.01.2017

Erfahrungsberichte

Die lila Schleife steht für Solidarität mit Krebspatienten | Foto: Thinkstock/ThitareeSarmkasat

Krebs-Patientin Kerstin: "Ich studierte, als ginge es um mein Leben"

Vor zehn Jahren erhielt Kerstin die Diagnose Lymphdrüsenkrebs, eine bösartigen Erkrankung des körpereigenen Immunsystems. Obwohl sie die aggressiven Therapien überstanden hat und ihr Krebs nicht mehr auffindbar ist, bestimmen Nebenwirkungen und Spätfolgen den Alltag der heute 32-Jährigen, die gerade ihre Doktorarbeit in Mathematik schreibt.

Rückblick: Mit 22 hatte Kerstin gerade ihre Ausbildung absolviert und eine erste Arbeitsstelle bekommen. Zeit für einen lange geplanten Urlaub. Es ist kurz vor Ostern. Die Koffer sind bereits gepackt. Am Tag vor der Abreise bemerkt sie eine Beule am Hals und blaue Äderchen an der Brust. Kerstin geht zum Arzt. Dieser findet eine weitere Beule über ihrem Brustbein und eröffnet ihr: "Sie dürfen nicht in den Urlaub. Sie müssen ins Krankenhaus. Sofort."

Auf dem Weg dorthin gehen ihr Befürchtungen und Vorahnungen durch den Kopf. Die Gänge der Ambulanz sind leergefegt. Nur eine einzelne Patientin geht an Kerstin vorbei –  mit Mundschutz, einen Infusionsbeutel vor sich hertragend. Ein surrealer Moment. "Damals kannte ich das noch nicht. Die Frau kam mir wie ein Alien vor", sagt Kerstin. Über Ostern muss sie schon im Krankenhaus bleiben. Der Pathologe, der einen Knoten für die Diagnose untersuchen könnte, kommt erst nach den Feiertagen wieder.

Dann geht alles sehr schnell. Diagnose: Lymphdrüsenkrebs. Kerstin gehen viele Fragen durch den Kopf. Zum Beispiel, wie sie der neuen Chefin erklären soll, dass sie mit Krebs im Krankenhaus liegt. Doch viel Zeit zum Nachdenken bleibt nicht. Der erste Zyklus der Chemotherapie beginnt. "Es war der Schlimmste", erzählt die Doktorandin. Insgesamt 14 Zyklen Chemotherapie, teilweise verteilt über ein halbes Jahr, und mehrere Bestrahlungen muss sie über sich ergehen lassen. Dann folgt die Stammzellentransplantation. "Eine der heftigsten Sachen, die ich je erlebt habe. Der komplette Körper rebellierte, teilweise mit wochenlangen Durchfällen", blickt sie zurück. Die Hälfte der Patienten stirbt laut Kerstin noch im ersten Jahr. Das Immunsystem wird komplett heruntergefahren. Jeder Infekt in dieser Zeit – sei er noch so harmlos – ist dann potenziell tödlich.

Doch Kerstin lässt sich nicht unterkriegen. Sie stellt sich für eine Reportage des WDR zur Verfügung und gehört zu den ersten Mitgliedern der "Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs", die sich für andere Betroffene einsetzt. Und vor allem zieht sie ein Mathe-Studium durch. Dafür sitzt sie mit Mundschutz und kahlem Kopf im Hörsaal und schreibt ihre Prüfungen. "Ich studierte, als ginge es um mein Leben", berichtete sie. Und darum ging es damals auch wirklich. "Komischerweise", so Kerstin, "hat mir das auch Kraft gegeben."

In ihren ersten akademischen Ferien liegt sie im Krankenhaus. Sie erleidet einen allergischen Schock, bekommt Gürtelrose. Ihre Freunde und ihre Familie geben ihr in dieser Zeit Halt. An Silvester feiern sie zusammen vor dem Krankenhaus das neue Jahr.  Nicht jeder reagiert mit Verständnis. Kerstin wird auf ihren Mundschutz angesprochen und gebeten, doch nach Hause zu gehen, wenn sie die Schweinegrippe hat.

Heute ist Kerstin in Remission, der Krebs ist nicht mehr auffindbar. Doch all die medizinischen Behandlungen haben wiederum das Risiko weiterer Krebserkrankungen erhört. Außerdem muss sie mit den Spätfolgen der Krankheit ein Leben lang zurechtkommen. Sie kann keine Kinder bekommen, da nach der Diagnose alles so schnell ging und niemand an die Konservierung ihrer Eizellen dachte. Außerdem ist sie chronisch müde, leidet am sogenannten Fatigue-Syndrom. An manchen Tagen kommt sie morgens nicht aus dem Bett, egal wie lange sie davor geschlafen hat. Ihre Arbeitsfähigkeit leidet darunter. Deswegen macht sie sich sogar Selbstvorwürfe.

Kerstin  wünscht sich von den Menschen mehr Sensibilität: "Für mich ist der entscheidende Punkt, dass die Krankheit existenziell ist. Die meisten Menschen glauben, dass die Sache für die Betroffenen nach der Behandlung erledigt ist, dass auch körperlich und seelisch wieder alles wie vorher ist. Aber das ist es nicht. Und dann wundern sie sich, warum man einen Behindertenausweis hat."

Vor einigen Monaten ist Kerstin umgezogen. Sie schreibt an ihrer Doktorarbeit und hat Salsa tanzen gelernt. Auf die Frage, ob sie der Erkrankung auch irgendetwas Positives abgewinnen kann, antwortet sie: "Ich weiß nicht, ob man das pauschalisieren kann. Ich denke aber es ist eine Selbstwirksamkeitserfahrung, die man da machen kann, wenn man so etwas durchgestanden hat."

Hintergrund-Infos zum Thema Krebs

Jährlich erkranken rund 500.000 Menschen in Deutschland neu an Krebs, davon rund 1.800 Kinder im Alter bis 15 Jahre und etwa 15.000 junge Heranwachsende zwischen 18 und 39 Jahren. Die Fallzahlen unter jungen Erwachsenen sind seit einigen Jahren steigend. Rund 224.000 Menschen sterben pro Jahr an Krebs. Damit ist die Krankheit die zweithäufigste Todesursache nach Herz- und Kreislauferkrankungen. Statistische Trends deuten darauf hin, dass Krebs in absehbarer Zeit zur häufigsten Todesursache wird.

Langzeitfolgen der Krebserkrankung können unter anderem die Unfruchtbarkeit der Patienten umfassen, Funktionsstörungen der Organe und Muskelgewebe nach Bestrahlung, Unregelmäßigkeiten des Hormonhaushaltes oder das Entstehen einer weiteren Krebserkrankung. Dabei steigert jede Krebserkrankung im Allgemeinen das Risiko für neuen Krebs, als auch Chemotherapien und Strahlentherapien Sekundärtumore auslösen können. Dabei ist meist von einer großen Latenzzeit auszugehen.

Für junge Patienten spielt dies insofern eine Rolle als dass ihre Wahrscheinlichkeit, zum Zeitpunkt einer neuen Krebserkrankung noch zu leben, höher ist. Die beste Heilung gegen Krebs ist die Früherkennung. Je früher ein Tumor erkannt wird, desto besser sind die Überlebenschancen. Diese beträgt über alle Alterskohorten hinweg 50 Prozent für die erste Krebserkrankung. Für junge Heranwachsende wird die Rate bei 80 Prozent angegeben.

Krebs-Patient Christoph: "Wenn die OP gut geht, habe ich keinen Krebs mehr. Wenn ich sterbe, habe ich keine Probleme mehr."

Fragt man Christoph (33) nach seinen Vorstellungen über das Lebensende kann er nur müde abwinken. Sein Großvater starb an Krebs, da war er neun Jahre alt. Sein Großcousin verunfallte mit 36 tödlich, ein Freund wählte mit 31 den Freitod, seine Freundin starb mit 24. "Spätestens dann, wenn man alle Tränen geweint hat, fangen die Fragen an", erzählt Christoph. "Über das Warum und Wozu. Wenn der Tod einem dann seine Visitenkarte in Form einer Krebsdiagnose in die Hand drückt, denkt man über die eigene Vergänglichkeit nach. Ob man will, oder nicht."

Christophs Weg in die Krankheit fängt mit Schluckbeschwerden an. Weder der HNO-Arzt, noch ein Kardiologe können sich die Beschwerden erklären. Bei einer Magenspiegelung entdeckt ein Gastroenterologe eine verdächtige Stelle und entnimmt Proben. Die Untersuchung beim Pathologen bestätigt die schlimmsten Befürchtungen: Krebs. Die Speiseröhre, die Umgebung des Magens, die Leber sind betroffen. Die Diagnose trifft den heute 33-Jährigen wie ein Hammerschlag. Seine Eltern reagieren – wie sein gesamtes Umfeld – bestürzt, aber mit großer Solidarität. Wie viel einzelnen Menschen an ihm liegt, spürt er in dieser Zeit.

Da eine Chemotherapie unfruchtbar machen kann, geht Christoph vor der ersten zur Samenbank. Danach folgt eine Operation. Christoph schreibt sein Testament und informiert seine Eltern, wer in seinem Todesfall alles benachrichtigt werden soll.  In der Zeit entwickelt er eine Art Zweckfatalismus: "Wenn die OP gut geht, habe ich keinen Krebs mehr. Wenn ich sterbe, habe ich keine Probleme mehr."  Bei der Operation werden 39 Lymphknoten entfernt, die Speiseröhre gekürzt, der Magen hochgezogen.

Christoph überlebt und geht erneut durch die Qual der Chemotherapie. Seine Haare fallen aus, er bekommt Nasenbluten. Er muss sich 20-mal am Tag übergeben. Mit einer 10-cm-Rest-Speiseröhre jedes Mal ein Vorgang unter ungeheuren Schmerzen. Ein Auge wird durch die Therapie dauerhaft geschädigt. Doch das autogene Training einer engagierten, jungen Psychologin, die er während einer Rehabilitationsmaßnahme kennenlernt, hilft ihm, den Schmerz auszublenden und rettet ihm in der postoperativen Chemotherapie das Leben. "Hätte ich das nicht gelernt, wäre ich an dieser Stelle endgültig zusammengebrochen", sagt er.

Anschließend beginnt die Nachsorgephase. Zwischen fünf und zehn Jahre wird ein Patient in der Regel von den Ärzten begleitet. Danach ist man auf sich alleine gestellt. Für Christophs Krebsart besteht kein Nachsorgeplan. Er muss sich seine Untersuchungen selbst zusammenstellen. An manchen Tagen spürt er noch die Langzeitfolgen der hochaggressiven Therapie: Abgeschlagenheit, Übelkeit und Erbrechen, Juckreiz am ganzen Körper und Hitzewallungen. Seelisch, berichtet Christoph, war das Krankheitserleben für ihn ein Höllenritt. "Man muss sich im Klaren sein, dass es nie mehr so wird wie früher. Was man während der Erkrankung an Angst und Depression aushalten muss, dass lässt sich kaum in Worte fassen. Und auch nach Behandlungsende ist das nicht einfach vorbei. Jedes Mal, wenn sich der Termin für eine Nachuntersuchung nähert, werde ich sehr unruhig, kann drei Tage vorher nicht mehr schlafen. Die Angst, dass die Krankheit zurückkommt macht einen fertig. Aber wenn der Arzt kommt und sagt – wie bisher –, dass alles in Ordnung ist, dann fällt die Angst zentnerschwer von einem ab."

Etwas, woran man kaum denkt, ist das Thema Geld. Für Christoph war die Zeit auch finanziell gesehen eine Katastrophe. Er hatte über den Zeitraum von einem Jahr kein geregeltes Einkommen. Ohne seine Eltern wäre er in die Privatinsolvenz gerutscht. Hartz IV konnte er nicht beantragen, da er sich dafür hätte exmatrikulieren müssen. Doch Christoph brauchte die Hoffnung, nach der Krankheit weiter studieren zu können. Auch wenn dich das etwas verkompliziert hat: Als Konsequenz seiner Krankheit musste er in seinem Germanistik- und Geografie-Studium die Prüfungsordnung wechseln. Die neue verlangt andere Kurse, die er erst noch absolvieren muss.

Mittlerweile hat Christoph begonnen, seine Geschichte als Hörbuch aufzunehmen. Für ihn ist das ein Stück Verarbeitung, eine Möglichkeit, "sich den ganzen Rotz von der Seele zu labern." Mitgeben möchte er allen jungen Menschen: "Wenn ihr irgendwelche merkwürdigen Beschwerden habt, dann geht zum Arzt! Vielleicht ist es ja nichts Ernstes, aber vielleicht geht es um euer Leben. Und falls ihr – wegen was auch immer – im Krankenhaus landet: Sagt Bitte und Danke zu den Ärzten und Pflegern. Die kämpfen jeden Tag für euch."

Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs

Christoph, Timur und Kerstin sind in der "Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs" organisiert. Die 2014 gegründete Stiftung ist ausschließlich durch Spenden finanziert. Sie widmet sich der Sensibilisierung der Öffentlichkeit für das Thema, dem Schließen von Versorgungslücken, dem gezielten Anstoßen gesundheitspolitischer Debatten, sowie der gezielten Förderung von Forschungsarbeit. Verschiedene Projekte, die zum Teil gemeinsam mit jungen Erwachsenen mit Krebs entwickelt wurden, bieten konkrete Hilfsangebote.

Unter www.junges-krebsportal.de wurde eine Plattform geschaffen auf der junge Patienten sich mit ihren Fragen, Sorgen und Nöten medizinischer und sozialrechtlicher Art an ehrenamtlich tätige Ärzte und Experten wenden können.

Krebs-Patient Christoph: "Wenn die OP gut geht, habe ich keinen Krebs mehr. Wenn ich sterbe, habe ich keine Probleme mehr."

Fragt man Christoph (33) nach seinen Vorstellungen über das Lebensende kann er nur müde abwinken. Sein Großvater starb an Krebs, da war er neun Jahre alt. Sein Großcousin verunfallte mit 36 tödlich, ein Freund wählte mit 31 den Freitod, seine Freundin starb mit 24. "Spätestens dann, wenn man alle Tränen geweint hat, fangen die Fragen an", erzählt Christoph. "Über das Warum und Wozu. Wenn der Tod einem dann seine Visitenkarte in Form einer Krebsdiagnose in die Hand drückt, denkt man über die eigene Vergänglichkeit nach. Ob man will, oder nicht."

Christophs Weg in die Krankheit fängt mit Schluckbeschwerden an. Weder der HNO-Arzt, noch ein Kardiologe können sich die Beschwerden erklären. Bei einer Magenspiegelung entdeckt ein Gastroenterologe eine verdächtige Stelle und entnimmt Proben. Die Untersuchung beim Pathologen bestätigt die schlimmsten Befürchtungen: Krebs. Die Speiseröhre, die Umgebung des Magens, die Leber sind betroffen. Die Diagnose trifft den heute 33-Jährigen wie ein Hammerschlag. Seine Eltern reagieren – wie sein gesamtes Umfeld – bestürzt, aber mit großer Solidarität. Wie viel einzelnen Menschen an ihm liegt, spürt er in dieser Zeit.

Da eine Chemotherapie unfruchtbar machen kann, geht Christoph vor der ersten zur Samenbank. Danach folgt eine Operation. Christoph schreibt sein Testament und informiert seine Eltern, wer in seinem Todesfall alles benachrichtigt werden soll.  In der Zeit entwickelt er eine Art Zweckfatalismus: "Wenn die OP gut geht, habe ich keinen Krebs mehr. Wenn ich sterbe, habe ich keine Probleme mehr."  Bei der Operation werden 39 Lymphknoten entfernt, die Speiseröhre gekürzt, der Magen hochgezogen.

Christoph überlebt und geht erneut durch die Qual der Chemotherapie. Seine Haare fallen aus, er bekommt Nasenbluten. Er muss sich 20-mal am Tag übergeben. Mit einer 10-cm-Rest-Speiseröhre jedes Mal ein Vorgang unter ungeheuren Schmerzen. Ein Auge wird durch die Therapie dauerhaft geschädigt. Doch das autogene Training einer engagierten, jungen Psychologin, die er während einer Rehabilitationsmaßnahme kennenlernt, hilft ihm, den Schmerz auszublenden und rettet ihm in der postoperativen Chemotherapie das Leben. "Hätte ich das nicht gelernt, wäre ich an dieser Stelle endgültig zusammengebrochen", sagt er.

Anschließend beginnt die Nachsorgephase. Zwischen fünf und zehn Jahre wird ein Patient in der Regel von den Ärzten begleitet. Danach ist man auf sich alleine gestellt. Für Christophs Krebsart besteht kein Nachsorgeplan. Er muss sich seine Untersuchungen selbst zusammenstellen. An manchen Tagen spürt er noch die Langzeitfolgen der hochaggressiven Therapie: Abgeschlagenheit, Übelkeit und Erbrechen, Juckreiz am ganzen Körper und Hitzewallungen. Seelisch, berichtet Christoph, war das Krankheitserleben für ihn ein Höllenritt. "Man muss sich im Klaren sein, dass es nie mehr so wird wie früher. Was man während der Erkrankung an Angst und Depression aushalten muss, dass lässt sich kaum in Worte fassen. Und auch nach Behandlungsende ist das nicht einfach vorbei. Jedes Mal, wenn sich der Termin für eine Nachuntersuchung nähert, werde ich sehr unruhig, kann drei Tage vorher nicht mehr schlafen. Die Angst, dass die Krankheit zurückkommt macht einen fertig. Aber wenn der Arzt kommt und sagt – wie bisher –, dass alles in Ordnung ist, dann fällt die Angst zentnerschwer von einem ab."

Etwas, woran man kaum denkt, ist das Thema Geld. Für Christoph war die Zeit auch finanziell gesehen eine Katastrophe. Er hatte über den Zeitraum von einem Jahr kein geregeltes Einkommen. Ohne seine Eltern wäre er in die Privatinsolvenz gerutscht. Hartz IV konnte er nicht beantragen, da er sich dafür hätte exmatrikulieren müssen. Doch Christoph brauchte die Hoffnung, nach der Krankheit weiter studieren zu können. Auch wenn dich das etwas verkompliziert hat: Als Konsequenz seiner Krankheit musste er in seinem Germanistik- und Geografie-Studium die Prüfungsordnung wechseln. Die neue verlangt andere Kurse, die er erst noch absolvieren muss.

Mittlerweile hat Christoph begonnen, seine Geschichte als Hörbuch aufzunehmen. Für ihn ist das ein Stück Verarbeitung, eine Möglichkeit, "sich den ganzen Rotz von der Seele zu labern." Mitgeben möchte er allen jungen Menschen: "Wenn ihr irgendwelche merkwürdigen Beschwerden habt, dann geht zum Arzt! Vielleicht ist es ja nichts Ernstes, aber vielleicht geht es um euer Leben. Und falls ihr – wegen was auch immer – im Krankenhaus landet: Sagt Bitte und Danke zu den Ärzten und Pflegern. Die kämpfen jeden Tag für euch."

Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs

Christoph, Timur und Kerstin sind in der "Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs" organisiert. Die 2014 gegründete Stiftung ist ausschließlich durch Spenden finanziert. Sie widmet sich der Sensibilisierung der Öffentlichkeit für das Thema, dem Schließen von Versorgungslücken, dem gezielten Anstoßen gesundheitspolitischer Debatten, sowie der gezielten Förderung von Forschungsarbeit. Verschiedene Projekte, die zum Teil gemeinsam mit jungen Erwachsenen mit Krebs entwickelt wurden, bieten konkrete Hilfsangebote.

Unter www.junges-krebsportal.de wurde eine Plattform geschaffen auf der junge Patienten sich mit ihren Fragen, Sorgen und Nöten medizinischer und sozialrechtlicher Art an ehrenamtlich tätige Ärzte und Experten wenden können.

Krebs-Patient Timur:

Timur ist 23, studiert Politikwissenschaft und wirkt ausgelassen und lebensbejahend, auch während er über die schweren Momente der Vergangenheit spricht. Es ist nur schwer vorstellbar, dass er an einer gravierenden Krankheit erkrankt war.

Timurs Geschichte beginnt während eines Auslandssemesters in den USA. Rückenschmerzen, die sich mit der Zeit immer mehr verschlimmern, zwingen ihn dazu, im Stehen zu arbeiten. Seine Familie ist sich sicher, dass es bei einem jungen, kerngesunden Mann wie ihm in erster Linie fehlende sportliche Betätigung sei, die die Schmerzen verursache.

Bei seiner Rückkehr nach Deutschland folgt dem Arztbesuch die schwerwiegende Diagnose: Hodenkrebs. Timur erinnert sich noch genau an den Moment: "Der Urologe schaute mich an und schwieg. Sicherlich 15 Sekunden lang, während er auf die Wand starrte. Ja, sprach er, Sie haben einen Tumor. Und ich dachte mir: Tumor? Was meint er damit genau? Er hatte wohl wenig Übung darin so eine Nachricht zu übermitteln. Mein erste Reaktion war dann meine Freundin anzurufen." Im ersten Moment ist Timur geschockt. Im zweiten Moment erleichtert. Schlecht ging es ihm ja schon vorher. Die ersten 48 Stunden funktioniert er trotzdem wie ein Roboter.

Bei einem Termin beim Radiologen folgt die nächste Hiobsbotschaft: Die Lunge sieht nicht gut aus. Timur hat bereits Lymphknoten- und Lungenmetastasen. "Am schlimmsten war die Unwissenheit. Eigentlich weiß man gar nicht viel über den Begriff Krebs, den man nur mit Chemotherapie und Tod in Verbindung bringt", erzählt Timur. Ein Flyer über Hodentumore liefert ihm erste Infos. Mit der Zeit liest er sich immer mehr in Literatur ein – er nennt das Bewältigungsstrategie. So ist er auch in der Lage, gezielte Fragen zu stellen. Als Leitidee dahinter sieht er einen Ausspruch des amerikanischen Präsidenten Franklin Delano Roosevelt: "Alles vor was wir Angst haben müssen, ist die Angst an sich." Und so ist es nur die Ungewissheit, die Timur ängstigt. Um die Illusion von Kontrolle aufrecht zu erhalten fängt er an seine Arztbriefe zu katalogisieren und digitalisieren. Er organisiert alle Termine selbst und kümmert sich um den reibungslosen Ablauf der Therapien.

"Für meine Familie", sagt Timur, "war die Zeit wohl viel schlimmer. So absurd es sich anhört, aber ich hatte eigentlich keine schlechte Zeit. Ich war zuhause, mit meinen Geschwistern, ich wurde bekocht.  Zusammen achteten wir darauf, dass alle Hygienevorschriften während der Chemotherapie eingehalten wurden." Nach drei Zyklen Chemotherapie beginnt Timur schwach zu werden. Doch er achtete darauf, jeden Tag draußen spazieren zu gehen. Seine Familie begleitet ihn zu allen Terminen. Seine Zuversicht verliert er nicht. Er berichtet von einem Erlebnis auf der Onkologie-Station: "Ich saß mit einem jungen Leukämie-Patienten auf einem Zimmer. Ich dachte mir, wie gut ich doch mit dem Hodentumor noch davon gekommen bin. Später stellte ich fest, dass er das gleiche von mir dachte."

Nach der Behandlung folgt die Rehabilitationsmaßnahme. Davon hat Timur zuerst keine wirkliche Vorstellung. "Ich dachte dabei an das englische 'Rehab', also eine Einrichtung, in der Hollywood-Stars sich von ihrer Alkohol- und Drogensucht kurieren", scherzt er. Sein Onkologe, ein junger Arzt Anfang 30, steht dieser Maßnahme schulterzuckend gegenüber. Timur entscheidet sich selbst dafür. In einer Einrichtung im Allgäu folgt er einem sportlichen Aufbauprogramm. Nach drei Wochen ist er derart gekräftigt, dass er zwei Mittagessen statt einem zu sich nimmt. Zwischenzeitlich isst Timur, der sich vorher fleischlos ernährt hat, sogar wieder Fleisch, um sich körperlich aufzubauen.

Ob sich Timur Sorgen macht, dass die Krankheit zurückkommt? "Ja und nein", antwortet er. Auf jeden Fall sieht er sich durch die Krankheit enorm gereift. Mehr Gelassenheit, zum Beispiel gegenüber Stress im Studium, hat er gelernt. Aber auch die Bedeutung davon, Gutes zu tun und zu bewirken. "Ich möchte definitiv die Welt zu einem besseren Ort machen", sagt er. Dafür ist er in der "Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs" organisiert und möchte Menschen helfen, die ein ähnliches Schicksal erleiden. Er nennt dies den Egoismus des Altruismus: "Es gibt wenig Dinge, die einem mehr gut tun, als im Kleinen etwas Gutes zu tun. Die wenigsten 23-jährigen nehmen sich die Zeit und fragen sich: Warum stehe ich morgens auf? Was treibt mich an zum Leben? Ich habe meine Antwort darauf gefunden. Aber das muss jeder für sich selbst finden. Da gibt es kein Pauschalrezept."

Akademiker können die Krebsforschung unterstützen

Um die Forschungsarbeit zu unterstützen vergibt die "Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs" jährlich ein, mit 10.000 Euro dotiertes Promotionsstipendium an Akademiker aller Fachrichtungen, die zum Themenkomplex der Stiftung forschen wollen.

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